Mütter zahlen doppelt für die Krise

Corona-Krise und verschärfte Ungleichheit

Auf eine doppelte Ungleichheit weist eine aktuelle Kurzexpertise der Bertelsmann-Stiftung hin. Unter dem Titel „Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt – was es kostet Mutter zu sein“ wird erläutert, dass Frauen mit Kindern besonders benachteiligt sind. Die Corona-Krise verschärft die Benachteiligung außerdem noch.

In der Analyse heißt es: Erste Befunde zu den Auswirkungen der Corona-Krise auf dem deutschen Arbeitsmarkt deuteten darauf hin, dass sich bestehende Ungleichheitsdynamiken in doppelter Hinsicht verschärfen – nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch innerhalb der Gruppe der Frauen. Dabei kosteten Kinder den Müttern schon vor der Krise bis zu zwei Drittel ihres Lebenserwerbseinkommens.

Zum „Gender Lifetime Earnings Gap“ kommt nach Ansicht der Autorinnen Manuela Barišić und Valentina Sara Consiglio ein sogenannter „Motherhood Lifetime Penalty“ hinzu. Sie analysieren, dass die Entscheidung für Kinder bei Frauen bei einem Kind zu durchschnittlichen Einbußen an Lebenserwerbseinkommen von rund 40 Prozent und bis zu fast 70 Prozent bei drei oder mehr Kindern führt. „Diese doppelte Ungleichheit ist nicht nur ungerecht, sondern geht auch mit einer gesamtwirtschaftlichen Ineffizienz einher, die sich die deutsche Wirtschaft insbesondere angesichts des demografischen Wandels und des anhaltenden Fachkräftemangels nicht erlauben kann“, heißt es in der Expertise aus dem Bertelsmann-Stiftungsprojekt „Beschäftigung im Wandel“.

Politischer und kultureller Wandel gefordert

Die Autorinnen fordern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Schaffung einer echten Wahl als oberste Priorität auf der politischen Agenda. Dafür gehören für sie unter anderem der zügige Ausbau einer qualitativ hochwertigen Kinderbetreuung sowie des Ganztagunterrichts für Grundschulkinder. Auf dem Weg zu einer gleichmäßigeren Aufteilung von Fürsorge- und Erwerbsarbeit zwischen den Geschlechtern bedürfe es aber auch eines kulturellen Wandels, denn sowohl in der Kinderbetreuung als auch in der Pflege von Angehörigen trügen Frauen noch immer die Hauptlast.

In der Corona-Krise verschärfen sich laut Analyse die Missstände und Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt. Herangezogen wird zum Beispiel eine aktuelle Untersuchung für die USA (Alon, Doepke, Olmstead-Rumsey, & Tertilt, 2020), die insbesondere Frauen als ökonomische Verliererinnen in der aktuellen Krise sieht. Im Vergleich mit früheren Wirtschaftskrisen zeige sich, dass dieses Mal ein Großteil der Jobs im Dienstleistungssektor wegbrechen könne. Diese würden zum überwiegenden Anteil von Arbeitnehmerinnen ausgeübt.

Frauen tragen Hauptlast der Kita- und Schulschließungen

Diesen Befund übertragen die Wissenschaftlerinnen auf den deutschen Arbeitsmarkt. Die aktuelle Krise treffe vorrangig Sektoren wie das Gastgewerbe, in denen Frauen im Verhältnis zu Männern überrepräsentiert seien. Darüber hinaus würden knapp 60 Prozent der als systemrelevant eingestuften Berufe von Frauen ausgeübt. Viele dieser Berufe würden aber unterdurchschnittlich bezahlt und seien gesellschaftlich wenig anerkannt. Frauen arbeiteten oftmals in weniger tarifgebundenen Branchen und häufiger als Männer geringfügig beschäftigt. Damit komme ihnen keine oder weniger Absicherung durch das Kurzarbeitergeld zu.

Außerdem erläutern die beiden Frauen, dass die Hauptlast der Kita- und Schulschließungen von Müttern getragen wird. Laut einer Erwerbstätigenumfrage des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) reduzierten 27 Prozent der befragten Frauen und demgegenüber nur 16 Prozent der Männer ihre Arbeitszeit in der Corona-Krise.

„Wie hoch die Einkommensverluste von Frauen letztendlich sein werden, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht konkret beziffern“, so Barišić und Consiglio. Zitiert wird die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Jutta Allmendinger, die angesichts der Pandemie vor einer „entsetzlichen Retraditionalisierung“ der Geschlechterrollen warnt.