„Wir müssen die Arbeit an Menschen endlich ebenso wertschätzen wie die Arbeit an Maschinen!“

Equal Care Day Konferenz in Bonn am Schalttag 29. Februar 2020

Wenn das Tagungsthema selbst, die Fürsorge füreinander, auch als solches auf einer Konferenz gelebt wird und eine ganz besonders wertschätzende Atmosphäre unter den Teilnehmenden herrscht, dann handelt es sich um die Equal Care Day Konferenz in Bonn. Ein persönlicher Rückblick über den Carespirit auf einer inspirierenden Veranstaltung von Dr. Kathrin S. Kürzinger.

Der Equal Care Day ist eine Initiative von Almut Schneering und Sascha Verlan, die auf mangelnde Wertschätzung und unfaire Verteilung von Care-Arbeit aufmerksam macht. Die beiden haben sich dabei ganz bewusst für den 29. Februar entschieden, der als Schalttag nur alle vier Jahre im Kalender vorkommt. Genauso unsichtbar ist auch die Carearbeit, also die Sorgearbeit in Kindererziehung, Haushalt, Pflege und Ehrenamt. Um diese Sorgearbeit aus der Nische des unsichtbaren Engagements herauszuholen, um Politik und Wirtschaft dafür zu gewinnen, die unterschiedlichen Bereiche von Care-Arbeit endlich ernst zu nehmen und neu zu denken, haben die Initiatoren des Equal Care Day am 28. und 29.02.2020 nach Bonn zu einer zweitägigen Konferenz geladen.

Eine Tagung mit ganz eigenem Carespirit
Besonders beeindruckt hat mich dabei, wie inklusiv und fürsorglich die gesamte Veranstaltung zum Equal Care Day konzipiert war: Der Veranstaltungsort im Leoninum   war barrierefrei, Gebärdendolmetscher waren durchgehend anwesend und haben nicht nur die Vorträge, sondern auch die Bühnenauftritte bei der Gala abends im Pantheon gedolmetscht. Für Kinderbetreuung und vegetarisches Essen war ebenso selbstverständlich gesorgt wie für einen Ruheraum, der den Besucherinnen und Besuchern als Rückzugsort zur Verfügung stand. Darüber hinaus bedankten sich die beiden Hauptverantwortlichen Almut Schneering und Sascha Verlan mehrfach bei ihrem gesamten Team und würdigten stets namentlich die jeweiligen Beiträge, die jede*r von ihnen zu der gelungenen Veranstaltung beigetragen hat. Damit lebten sie ihr Motto, der Carearbeit ein Gesicht zu geben, und diese Arbeit, die oftmals im Verborgenen und nicht selten auch noch unbezahlt erfolgt, sichtbar zu machen sowie angemessen wertzuschätzen. Auf diese Weise hatte die Veranstaltung spürbar ihre ganz eigene wertschätzende Atmosphäre, ihren Carespirit.

Carecamp im Barcampformat
Los ging es am Freitag mit einem sogenannten Carecamp im Barcampformat, wo nach einer Vorstellungsrunde jede*r Teilnehmende eine Session zu einem Thema anbieten konnte, was sie bzw. ihn gerade bewegt und wozu sie oder er mit anderen in Austausch treten möchte. So entstand binnen Minuten unter Einbeziehung der Teilnehmenden ein äußerst vielfältiges Programm von Erwerbs- und Finanzbiographien über Vereinbarkeit und Karriereknick bis hin zu Grundeinkommen und Sorgearbeit. In kleinen und größeren Runden kamen die Teilnehmenden hier untereinander zu diversen Themen ins Gespräch und konnten jeweils ihre eigene Perspektive und Anliegen einbringen.

Gala zur Wertschätzung von Menschen, die Fürsorgearbeit leisten
Abends fand im Pantheon  eine Gala zum Equal Care Day mit verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern statt, um ganz bewusst all jene zu feiern, die Fürsorge und Carearbeit leisten. Pflegerin Nicci alias Nicole Weißbrodt mit der exzentrischen alten Dame Clarissa, die sich selbst als I-don’t-care-Lady bezeichnet, gewährte auf amüsante Art und Weise Einblicke in oftmals schwierige Machtverhältnisse in Pflegesituationen. Die Slammerin Dominique Macri dichtete vom Spagat der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus dem eigenen Leben und der sensiblen Situation der Geburt und problematisierte dabei Gewalterfahrungen von Frauen. Den Abschluss des Abends und für mich persönlich einer der Höhepunkte bildete der Besuch des Tods. Mit seinen humorvollen Ausführungen zum angstbeladenen Tabuthema Tod trieb er uns die Lachtränen in die Augen.

Global Care Chains oder die Verknüpfung von Carearbeit und Migration
Am nächsten Tag, dem eigentlichen Equal Care Day am 29. Februar begann die Konferenz mit Vorträgen und Workshops. Professorin i. R. Dr. Ute Meier-Gräwe plädierte dabei für das „Erwerb- und Sorgemodell“ mit einer 32h-Vollzeit und damit genug Zeit für Carearbeit von BEIDEN (!) Elternteilen. Für ihre Forderung an Politik und Wirtschaft „Wir müssen die Arbeit an Menschen endlich ebenso wertschätzen wie die Arbeit an Maschinen!“, bekam Gräwe, die u.a. Mitglied der Sachverständigenkommission zur Erstellung des 2. Gleichstellungsberichts der Bundesregierung ist, von den Teilnehmenden langen Szeneapplaus. Professorin Dr. Helma Lutz , die an der Universität Frankfurt eine Professur für Frauen- und Geschlechterforschung innehat, wies mit ihrem Thema Global Care Chains auf die weltweite Bedeutung der Caremigration  hin und forderte den Begriff „24-Stunden-Pflege“ zum Unwort des Jahres zu erklären, um auf die Ausbeutung von in der Regel weiblichen Pflegekräften aus dem Ausland hinzuweisen.

Manifest wirkt über den Equal Care Day hinaus
Am Nachmittag wurde in acht verschiedenen Workshops gemeinsam mit den Teilnehmenden ein Manifest zum Equal Care Day erarbeitet. Im Workshop Care und Umwelt ging es beispielsweise darum, sozial-ökologische Fragen zusammenzudenken und gemeinsam konkrete Ideen zu Veränderungspotential und Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. Größte Zustimmung fand dabei zum einen die Reduzierung der Erwerbsarbeit, um die Carearbeit gleichmäßiger verteilen zu können. Zum anderen plädierten die Teilnehmenden dafür im Sinne des Gemeinwohls das Bewertungssystem von Arbeit und Wirtschaft in der Gesellschaft neu zu überdenken. Die Weiterarbeit am Manifest erfolgt nach der Konferenz nun digital über die Website des Equal Care Day, wo die Veranstaltung auch in Wort und Bild gut dokumentiert ist. Voraussichtlich im Mai wird das Manifest dann veröffentlicht und auch an Vertreterinnen und Vertreter der Politik weitergegeben, um die entstandenen Ideen und Impulse an die Entscheidungsträger heranzutragen, damit bislang oft unsichtbare und unbezahlte Carearbeit, die unsere Wirtschaft stützt, endlich angemessen wertgeschätzt und besser bezahlt wird.